Anerkennung posttraumatische Belastungsstörung als Berufskrankheit
Bahnbrechende Entscheidung des Bundessozialgerichts zur posttraumatischen Belastungsstörung
Das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil vom 22.06.2023 – B 2 U 11/20 R zum Unfallversicherungsschutz bei einer posttraumatischen Belastungsstörung grundlegende Ausführungen gemacht. Die Entscheidung betraf einen Rettungssanitäter, der im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit mit einer Vielzahl von traumatisierenden Ereignissen konfrontiert wurde und an einer Posttraumatischen Belastungsstörung litt. Im Ergebnis wurde dem Grunde nach die posttraumatische Belastungsstörung als Berufskrankheit durch das Bundessozialgericht anerkannt.
Zum besseren Verständnis sei in diesem Zusammenhang kurz das System der Berufskrankheiten erläutert:
Grundlage ist § 9 SGB VII in Verbindung mit der Berufskrankheitenverordnung (BKVO). Dabei dienen die Berufskrankheiten dazu, die berufliche Belastung für die in der BKVO aufgeführten Personen- und Sachverhaltsgruppen mit einer entsprechenden Exposition bei Gesundheitsschäden den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren. Es handelt sich bei der Berufskrankheit um einen Sonderfall des Arbeitsunfalls, der Unterschied liegt im Wesentlichen darin, dass bei einem “klassischen” Arbeitsunfall ein plötzliches Ereignis im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit den Versicherten getroffen hat, während der bei der Berufskrankheit “eingetretene Arbeitsunfall” eher einen schleichenden Prozess darstellt.
In der BKVO ist die posttraumatische Belastungsstörung als Berufskrankheit in seinem grundsätzlich abschließenden Katalog nicht aufgeführt. Dennoch handelt es sich bei deren Anerkennung nicht um eine vollkommen freie Rechtsidee des Bundessozialgerichts die posttraumatische Belastungsstörung als Berufskrankheit anzuerkennen, denn § 9 Abs. 2 SGB VII sieht vor, dass die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorlägen, wie eine Berufskrankheit als ein Versicherungsfall anzuerkennen haben, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für die Bezeichnung einer Berufskrankheit erfüllt sind. Genau diesen Schritt ist das BSG bei der Anerkennung einer Posttraumtischen Belastungsstörung vorliegend gegangen.
Das Gericht geht davon aus, dass die Posttraumatische Belastungsstörung eine Erkrankung sei, die wegen der besonderen Einwirkungen, denen Rettungssanitätern gegenüber der übrigen Bevölkerung ausgesetzt sind, als „Wie-Berufskrankheit“ nach § 9 Abs. 2 SGB VII bei dieser Personengruppe anzuerkennen ist. Rettungssanitäter seien einem erhöhten Risiko der Konfrontation mit traumatisierenden Ereignissen, unter anderem erfolglose Rettungsmaßnahmen, Bergung von Schwerverletzten oder Unfalltoten, Auffindung von Suizidenten und insbesondere das Auffinden und Bergen von Kindern, ausgesetzt. Diese Auswirkungen stellen eine nach dem Stand der Wissenschaft abstrakt generell anzuerkennende Ursache einer Posttraumtischen Belastungsstörung, die im Übrigen auch grundsätzlich im ICD-10 klassifiziert ist, dar. Weiterhin ist in dem für die Unfallversicherung auch wichtigen „Diagnostischen und statistischen Manual psychischer Störungen“ der amerikanischen psychiatrischen Vereinigung (DSM) sowie in den Leitlinien der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften die posttraumatische Belastungsstörung anerkannt. Daher müsse die Posttraumatische Belastungsstörung grundsätzlich als Berufskrankheit anerkannt werden.
Die Urteilsgründe liegen noch nicht vor, jedoch spricht auf der tatsächlichen Ebene viel dafür, dass nicht nur für die Berufsgruppe der Rettungssanitäter, die der Entscheidung zugrunde lagen, sondern vielmehr für alle Berufsgruppen, die mit solchen traumatischen Ereignissen zu tun haben, eine neue Berufskrankheit anerkannt wurde. Dies betrifft insbesondere die Notfallmediziner, die den gleichen traumatischen Ereignissen ausgesetzt sind, als auch bspw. die Gruppe der Feuerwehrmitarbeiter oder der Polizei. Daher wird auf Grundlage dieser Entscheidung sicherlich eine neue Welle an Prozessen zu erwarten sein.
Innerhalb eines Verfahrens muss daher zwei Sachverhalte nachgewiesen werden: das Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung und das Vorliegen von Sachverhalten, die eine Posttraumatische Belastungsstörung auslösen können.